Samstag, 2. Juli 2011

Deutschland boomt sich in Krise

Die Zauberformel der deutschen Unternehmen ist im Wandel: Preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Niedrige Löhne, wenig Kosten, viel Wachstum - dies galt für lange Jahre als Erfolgsgleichung vor allem für die Exporteure. Nun droht das Motto: Höhere Löhne, mehr Kosten, weniger Wachstum. Die Preise für Rohstoffe und Energie sind seit längerem das Konjunkturrisiko Nr. 1 für die deutschen Firmen. "Das hat sich verschärft in den vergangenen eineinhalb Jahren - und zwar branchenübergreifend", sagt DIHK-Konjunkturexperte Dirk Schlotböller.

Besonders laut stöhnen Betriebe der Gummi- und Kunststoffbranche, Nahrungsmittelkonzerne und Metallerzeuger, wie aus der jüngsten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter 24.000 Unternehmen hervorgeht. Viele See- und Küstenschiffer führen bereits langsamer, um teuren Treibstoff zu sparen Eisenerz 50 Prozent teurer Importierte Energie kostete im Mai gut 30 Prozent mehr als vor Jahresfrist. Für Rohöl mussten die Unternehmen 35 Prozent mehr berappen. Auch andere Rohstoffe verteuerten sich mächtig: Eisenerz kostet 50 Prozent mehr. Für steigende Preise sorgt auch der Nahrungsmittelsektor: Importiertes Getreide lag im Mai 70 Prozent über dem Vorjahresniveau, Rohkaffee 60 Prozent darüber.

Die Großhändler machen dafür Ernteausfälle, Umweltkatastrophen und das russische Exportverbot für Weizen verantwortlich. Langfristig dürfte nach Ansicht des Branchenverbandes BGA Getreide teurer werden - wegen der steigenden Nachfrage aus China im Zuge des steigenden Wohlstands.
Inflation schlägt zu

Die anziehenden Preise schlagen immer mehr auf die Verbraucher durch. Die Teuerung lag im Juni bei 2,3 Prozent und damit deutlich über der Marke von knapp zwei Prozent, bis zu der die Währungshüter der Europäischen Zentralbank von stabilen Preisen reden. "Die Inflationsrate wird spätestens nach der Sommerpause einen neuen Anlauf in Richtung drei Prozent nehmen", sagt Andreas Rees, Deutschland-Chefvolkswirt von Unicredit.

"Die Unternehmen nutzen mehr und mehr die Möglichkeit, gestiegene Kosten zunehmend auf ihre Kunden zu überwälzen." Die Spielräume dafür seien größer geworden dank der guten Konjunktur und der Rekord-Beschäftigung. Die Commerzbank spricht gar von ersten Schattenseiten des Aufschwungs.
Löhne als Kostenschub

Allerdings spüren die Firmen Ungemach auch von woanders: "Von der Lohnseite ist ein Kostenschub unterwegs", betont Roland Döhrn, Chefökonom des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Erstmals seit langem steigen die effektiven Löhne schneller als die tariflich fixierten. Offenbar gebe es wieder mehr Überstunden, sagt Döhrn. "In einigen Bereichen sind Arbeitskräfte knapp und die Firmen bereit, Zulagen für gute Leute zu zahlen."

Im Aufschwung fällt es Gewerkschaften ohnehin leichter, Lohnerhöhungen durchzusetzen. Als Beleg dafür sieht Döhrn die rasche Einigung im Einzelhandel, wo sich Tarifkonflikte in der Vergangenheit oft über ein Jahr hinzogen. "Die haben relativ geräuschlos drei Prozent durchgesetzt", staunt Döhrn.
Meinungen gehen auseinander

Das gewerkschaftsnahe WSI-Institut sieht deshalb aber noch lange keine "nennenswerte Kostensteigerung" für die deutschen Betriebe. "Viele Dax-Unternehmen haben Boni gezahlt. Das ist immer ein Hinweis darauf, dass die Geschäft gut laufen", sagt Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs.

Die Essener RWI-Forscher erwarten wie die Bundesbank, dass die Lohnstückkosten im nächsten Jahr um 1,7 Prozent klettern, während sie 2010 noch um ein Prozent gesunken waren. "Das führt zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit", sagt Döhrn, fügt aber hinzu: "Es wird nicht der Supergau für die Firmen werden." Auf jeden Fall hält der Preisdruck die Unternehmen weiter in Atem: "Man kann noch keine Entwarnung geben bei der Inflation", warnt Unicredit-Experte Rees.

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